Der spirituelle Weg

 

 

Aristoteles sagte: „Werde, der du bist“. Die meisten Menschen kommen im Laufe ihres Lebens an einen Punkt, an dem sie feststellen, dass sie nicht ihr eigenes Leben gelebt haben, sondern vergeblich versucht haben, einem idealisierten Menschen- und Gesellschaftsbild zu entsprechen. Wenn sie zu dieser sehr wichtigen Erkenntnis gelangt sind, haben sie meist einen langen Leidensweg hinter sich: Zahlreiche Niederlagen, Krankheiten und Verletzungen, Sorgen, Kummer und Ängste. Sie fühlen sich gelangweilt, erschöpft, apathisch, hoffnungslos und lebensmüde. Sie bewegen sich nur noch wie fremdbestimmte Roboter durchs Leben. Der Schmerz muss erst sehr tief gehen, bevor es zu einem spirituellen Wiedergeburtsprozess kommt, einem Prozess der Transformation und Ent-Täuschung.

 

Alle familiären und gesellschaftlichen Konditionierungen der Vergangenheit geraten ins Wanken. Es ist wie ein riesiges Räderwerk: wenn man an einem Rädchen dreht, bewegt sich das gesamte System. Somit beginnt der spirituelle Weg mit einem Chaos, das fast als lebensbedrohlich wahrgenommen wird, da es keinen sicheren Halt mehr gibt. Alles kommt auf den Prüfstand: Familie, Beruf, Staat, Kirche und Gesellschaft. Der spirituelle Weg ist der Weg der De-Maskierung, ein Enthüllungsprozess, dem sich auf Dauer niemand entziehen kann, da der Leidensdruck sonst zunehmend größer wird.

 

Der Mensch, der sich auf dem „rechten Weg“ befindet, braucht sich vor nichts zu fürchten, da er stets von sichtbaren und unsichtbaren Helfern begleitet wird. Für den, der das Tor zum grenzenlosen Bewusstseins durchschritten hat, gibt es keinen Weg mehr zurück in die "alte Welt". Diese Welt ist die Welt der Illusionen, der Träume, des Selbstbetrugs. Das wahre Leben existiert nur in der Gegenwart. Träume führen zu Täuschungen, da es immer anders kommt als man denkt. Unser Ego ist sehr raffiniert und einfallsreich, wenn es darum geht, von den Problemen der Gegenwart abzulenken. Darauf zu warten, dass in Zukunft alles besser wird, ist verschwendete Zeit.

 

Als Buddha am Eingang zum Nirvana stand, wurde er bereits umjubelt und willkommen geheißen. Doch bevor er das "Tor der Glückseligkeit" durchschritt, wagte er nochmals einen Blick zurück auf die Welt, von der er kam. Als er die leidende und angstvolle Menschheit sah, sagte er den Feiernden, er müsse nochmal zurückkehren, um den Menschen bei der Bewältigung ihrer Probleme zu helfen. Und er musste zurückkehren, sonst wäre er keine Buddha gewesen. Was Jesus Christus betrifft warten viele auf seine Wiederkehr, auf dass er sie erlösen möge von ihrem Übel. Doch da können sie lange warten, da Jesus, wie auch viele andere erleuchtete Meister, diese Welt bis zum heutigen Tag nicht wirklich verlassen hat. Der "Balken im Auge" ist es, der es leider verhindert, dass wir seine Gegenwart wahrnehmen können. Oder anders ausgedrückt:

 

"Der Weise wird nur durch den Weisen erkannt."